Fast auf den Tag ein Jahr nach seinem Weltmeistertitel im Halbmarathon im finnischen Tampere holt sich Thomas Kotissek seinen nächsten internationalen Titel – diesmal den des Europameisters, und diesmal im Berglauf. Der 47-jährige gebürtige Bamberger, der mittlerweile in Füssen zu Hause ist und für die LG Allgäu startet, war damit aus deutscher Sicht der herausragende Athlet der Titelkämpfe im schweizerischen Adelboden. Er setzte sich nicht nur in seiner Altersklasse M45 gegen die bärenstarke Konkurrenz aus dem Gastgeberland durch, sondern distanzierte mit der zweitschnellsten Zeit des Tages auch die über 10 Jahre jüngeren nationalen Konkurrenten mit über zwei Minuten Vorsprung. Und hierbei handelte es sich immerhin um den Sechst- bzw. Neuntplatzierten der diesjährigen Deutschen Meisterschaft im Berglauf.
Der Erfolg war in der Form nicht unbedingt zu erwarten, sieht sich der ehemalige Fußballer doch eher als Straßenläufer. „Eigentlich bin ich auf Asphalt zu Hause – mein Training ist nahezu komplett auf Straßenläufe ausgerichtet. Ab und an gehe ich aber schon auch am Berg an den Start.“ Vor allem, wenn das Streckenprofil ihm entgegenkommt. Wie schon bei der Deutschen Meisterschaft Ende April in Bühlertal im Hundsrück, als es nur im unteren Teil einige steilere Passagen gab und gerade im letzten Abschnitt die flacheren Abschnitte überwogen. Damals holte Kotissek trotz großen Trainingsrückstands den Deutschen Meistertitel in seiner Altersklasse. „Die Saison begann für mich insgesamt sehr holprig. Von Ende Februar bis Mitte April war ich immer wieder verletzt – kontinuierliches Training war damals nicht drin.“ Das spürte er dann auch noch eine Woche später beim Weltkulturerbelauf in Bamberg, als er als Vierter denkbar knapp das Podium verpasste. „Die Atmosphäre in Bamberg war damals wie immer unglaublich – allerdings habe ich zu keiner Zeit meinen Schritt gefunden. Das war dann teilweise schon sehr zäh.“ erinnert er sich an die Rückkehr in seine alte Heimat im Mai.
In der Folge konzentrierte er sich auf ein systematischeres Training – sukzessive Umfangs- und Intensitätssteigerungen äußerten sich schnell in einer ansteigenden Formkurve. Vor allem in den Pfingstferien, die Kotissek mit seiner Familie auf Sardinien verbrachte, kam er so richtig in Tritt. „Morgens zu trainieren und dann mit den Frühstückssemmeln zurückkommen, wenn der Rest der Familie gerade aufsteht – so komm ich gut in den Tag.“ beschreibt er seine Vorstellung von Urlaub nicht ohne ein kleines Augenzwinkern. Und das positive Laufgefühl bestätigte sich zwei Wochen vor der Europameisterschaft, als er an einem Wochenende zwei Wettkämpfe über die 10km-Distanz absolvierte. „Das fühlte sich schon sehr gut an und hat mir gezeigt, dass die Form inzwischen stimmt.“
Entsprechend selbstbewusst machte er sich auf den Weg nach Adelboden. Das Ziel war ein Platz auf dem Treppchen, zumal auch die Streckenführung in Adelboden dem dreifachen Familienvater zu liegen schien. Trotzdem nötigten ihm vor allem die Konkurrenten aus der Schweiz – allesamt Berg- und Traillaufspezialisten – gehörigen Respekt ab.
Der Renntag an sich begann für die Bergläufer dann sehr ungewohnt, stiegen sie doch alle zunächst in die Seilbahn. Da der Start des Berglaufs erst an der Mittelstation der Silleren-Bergbahn erfolgte, wurden die ersten 200 Höhenmeter in der Gondel mit Blick auf den weltbekannten Adelbodener Slalomhang zurückgelegt. Um 9.30 Uhr erfolgte dann der Startschuss bei bereits sommerlichen 28 Grad – zunächst für die Damenkonkurrenz, drei Minuten später für die Männer – eine aus Sicht aller Athleten eher unglückliche Entscheidung, trafen die schnelleren Männer just da auf die Frauen, als der Weg schmaler und unwegsamer wurde. Nachdem sich insgesamt deutlich über 400 Teilnehmer auf die 9 km lange Strecke mit etwa 650 Höhenmeter zur Bergstation Sillerenbühl in knapp 2000m Höhe machten, wurde es zu Beginn ganz schön eng. „In dem ganzen Gedränge habe ich meine Position im Gesamtklassement komplett aus den Augen verloren.“ erinnert sich der Wahlallgäuer an die ersten beiden Kilometer. Nach etwa drei Kilometern überholte Kotissek den in seiner Altersklasse bis dato Führenden Schweizer Ramuz und folgte den schnellen Schritten eines jüngeren Briten, ohne zu wissen, dass er sich mittlerweile auf Platz zwei im Gesamtklassement befand. Zwar konnten sich die beiden Führenden Schritt für Schritt absetzen, allerdings musste der Füssener den Engländer im ersten steilen Bergabstück dann doch auch ziehen lassen. Es folgten etwa 2,5 km im stetigen Auf und Ab – ein Gelände, das Kotissek eigentlich hätte liegen sollen. „Die steilen Rampen im ersten Streckenteil haben schon einige Körner gekostet, da war ich schon am Limit. Und von hinten kam langsam ein rotes Trikot immer näher.“ Dass zu diesem Zeitpunkt das Ziel in einiger Entfernung schon zu sehen war, motivierte Kotissek zusätzlich. Mit noch knapp 25 Meter Vorsprung erreichte Kotissek den letzten steilen, 300 Meter langen Schlussanstieg. Das Ziel und die Goldmedaille vor Augen mobilisierte seine letzten Kräfte und konnte den knappen Vorsprung doch noch einmal ausbauen. Als Schnellster seiner Altersklasse überlief er nach etwas mehr als 40 Minuten jubelnd die Ziellinie. „Tolles Rennen, tolle Kulisse! Mir haben so viele Leute gratuliert! Einfach Wahnsinn!“ freute sich der neue Europameister sichtlich erschöpft. Eine Hürde galt es trotzdem noch zu nehmen, denn er wurde als Gesamtzweiter zur Dopingkontrolle gebeten. „Nach so einem Rennen bei fast 30 Grad ging da erst mal gar nichts!“ meinte Lehrer hinterher lachend. So blieb ihm wenigstens noch genug Zeit, um die tolle Atmosphäre im Zielbereich zu genießen. Nach knapp einer Stunde und unzähligen Bechern Wasser wurde jedoch auch dieses letzte Problem gelöst.
Nach seinem Heimrennen in Füssen möchte der Ausdauerathlet zunächst etwas runterfahren, bevor im September die nächsten Höhepunkte anstehen. Was er sich dafür vorgenommen hat? „Eine Medaille in Pescara!“ Dort finden Ende September die Europameisterschaften im Straßenlauf statt. Und auf der Straße fühlt er sich ja richtig wohl.